Was vom Glanze übrigblieb – Schloss Dwasieden auf Rügen

Zur Kaiserzeit gehörte er zu den reichsten Männern Deutschlands. Heute ist sein Name nahezu vergessen: Adolph von Hansemann (1826-1903).

Als ich im letzten Herbst meinen Ausflug auf die Insel Rügen plante, riet mir mein Neffe zum Besuch der Schlossruine von Dwasieden nahe Sassnitz. Zwar hatte ich in Reiseführern und Internet schon einige Sehenswürdigkeiten gefunden, die ich besuchen wollte, aber von jener Ruine, geschweige denn von einem einst prächtigen weißen Schloss an der Ostsee, wusste ich nichts.

Schloss Dwasieden, 1879 © Wikimedia Commons

Mein Neffe lieh mir daraufhin ein Buch, das sehr anschaulich von der Geschichte jenes Schlosses erzählt. Ganz nebenbei erwähnte er, dass das Betreten des Ruinengeländes eigentlich untersagt sei. Mehrere Verbotsschilder würden darauf hinweisen, von denen ich mich aber nicht beirren lassen sollte. Nun gehören lost places nicht gerade zu meinen bevorzugten Zielen, vor allem wenn deren Zutritt auch noch verboten ist. Aber dann blätterte ich in dem Buch und mein Interesse war geweckt.

Eine Ruine mitten im Wald

Die Ruine befindet sich südwestlich von Sassnitz, in einem Waldgebiet, das direkt an der Steilküste liegt. Ich reise mit der Fähre von Binz an. Einst muss das weiße Schloss schon vom Meer aus zu sehen gewesen sein. Heute lässt sich nur noch erahnen, wo es gestanden haben mag. Die Natur hat das Gelände längst zurückerobert.

Die Steilküste von Dwasieden © Petra Häring-Kuan

Im Hafen von Sassnitz erkundige ich mich nach dem Weg und folge der Beschreibung, die mich zunächst die Straße der Jugend entlang und dann direkt in den Wald führt. Von Schildern, die ein Betreten des ehemaligen Schlossgeländes untersagen, ist nichts zu sehen, ebenso wenig von solchen, die den Weg dorthin weisen. Niemand ist zu sehen, den man fragen könnte. Wäre ich allein unterwegs, würde ich kehrt machen, zu unheimlich wirkt auf mich das unbekannte Waldgebiet. Doch zum Glück stapft eine zierliche, aber höchst couragierte Freundin neben mir her. Zu zweit fühlt man sich eben gleich viel stärker.

Rechter Hand tauchen Ruinen auf, allerdings von Gebäuden, die auch in ihren besten Zeiten nicht zu einem schlossähnlichen Anwesen gehört haben können.

Ruinen ehemaliger Kasernen © Petra Häring-Kuan

Sind wir hier richtig? Hat man uns vielleicht in eine falsche Richtung geschickt? Ich schaue auf die Navi-App meines Smartphones. Die Ruine ist nicht eingezeichnet. Ich kann aber zumindest unseren Standort und die Ostsee ausmachen. Nach einer alten Karte aus dem Buch meines Neffen muss sich das Schloss oder das, was davon übrigblieb, ganz in unserer Nähe befinden. Wir entdecken eine Abzweigung in Richtung Meer. Der Weg endet jedoch im Unterholz.

Auf der Suche nach der Schlossruine © Petra Häring-Kuan

Wir probieren eine nächste Abzweigung. Plötzlich heulen Motorräder auf. Zwei schwere Maschinen biegen in unseren Weg ein, die Fahrer mit Helmen und schwarzer Lederkleidung wirken wenig vertrauenserweckend. Sie reduzieren die Geschwindigkeit und nähern sich im Schritttempo. Dann schaue ich in die freundlichen Gesichter zweier Herren und frage erleichtert nach dem Weg.

„Immer geradeaus und dann rechts!“, erwidert der Ältere von ihnen. Wie sich später herausstellt, kennt er sich auf dem Terrain bestens aus.

Nur noch ein kurzes Stück und dann – tatsächlich: da liegt sie, die Schlossruine von Dwasieden.

Ruine eines Säulengangs von Schloss Dwasieden © Petra Häring-Kuan
Der Marstall von Schloss Dwasieden © Petra Häring-Kuan

Hier traf sich, was Rang und Namen hatte

Erbaut wurde das Schloss in den Jahren 1873 bis 1877. Bauherr war der Bankier Adolph von Hansemann, leitender Architekt Friedrich Hitzig, der als ein Schüler des berühmten preußischen Baumeisters und Stadtplaners Karl Friedrich Schinkel galt und vornehmlich repräsentative Bauten schuf. Bereits Jahre zuvor hatte er für den Bankier eine Doppelvilla in der Berliner Tiergartenstraße errichtet, die so imposant war, dass sie zu einer Berliner Sehenswürdigkeit wurde, die sogar den preußischen König Wilhelm I. zur Besichtigung anlockte.

Die Doppelvilla in der Tiergartenstraße zu Berlin, aus dem Buch “Adolph von Hansemann”, München 1932

Beim Schlossbau von Dwasieden wurden selbstverständlich nur edle Materialien verbaut, wie französischer Sandstein, schwedischer Granit und Marmor. Auch der Innenausbau soll aufwendig und kostbar gestaltet worden sein. Und dann war da noch der große Landschaftspark, der den weißen Prunkbau umgab. Lange Zeit galt Dwasieden als das schönste Schloss an der Ostsee.

Mehrmals im Jahr kam Adolph von Hansemann zu längeren Aufenthalten aus Berlin angereist, etwa zur Schnepfenjagd zu Pfingsten, zur Erholung während des Hochsommers und im Herbst und Winter, um auf die Pirsch zu gehen. Regelmäßig ließ er für sich und seine Vertrauten Jagdgesellschaften ausrichten. Seit er große Waldgebiete und Ländereien auf Rügen und in Posen besaß war die Jagd zu seiner großen Leidenschaft geworden.

Die Liste der illustren Gäste auf Schloss Dwasieden enthält prominente Namen. Der deutsche Kaiser kam mit seiner Familie, ebenso der König von Schweden, Prominente aus Wirtschaft, Politik, Wissenschaft und Kultur, sowie Diplomaten, darunter sogar zwei Gesandte aus China.

Wer also war Adolph von Hansemann?

Will man von ihm erzählen, muss man mit seinem Vater David beginnen, der den Grundstein für das Vermögen seines Sohnes legte.

Der Vater: David Hansemann (1790-1864)

David Hansemann stammte aus Finkenwerder bei Hamburg. Er war der jüngste Sohn einer kinderreichen Pastorenfamilie. Von Finkenwerder zogen die Hansemanns ins Hannoversche. Anders als drei seiner älteren Brüder, die studieren durften, fiel David in der Schule nicht durch besondere Leistungen auf, weshalb er schon mit 14 Jahren eine kaufmännische Lehre im Einzelhandel beginnen musste. Bildungsorientiert schien er aber trotzdem gewesen zu sein. So ließ er sich ab vier Uhr morgens für zwei Stunden von einem seiner Brüder unterrichten, der als Hauslehrer in einer Fürstenfamilie tätig war und seinen Dienst um sechs Uhr antreten musste.

Fünf Jahre später ging David Hansemann als kaufmännischer Angestellter für eine Tuch- und Wollfabrik auf Reisen, knüpfte zahlreiche Kontakte und lernte das benachbarte Ausland kennen. Im Alter von 27 Jahren machte er sich selbständig und gründete in Aachen ein eigenes Woll-Handelsgeschäft, mit dem er schnell zu Wohlstand und Ansehen gelangte.

David Hansemann, aus dem Buch “David Hansemann und Adolph von Hansemann”, Krefeld 1954

Porträts von David Hansemann zeigen einen Mann, der eher an einen Intellektuellen aus jener Zeit erinnert. Tatsächlich hatte er großes Interesse an Gesellschaft und Politik, strebte öffentliche Ämter an und verfasste zahlreiche Denkschriften zu aktuellen Themen in Wirtschaft und Politik. Vor allem aber war er ein Mann mit einem ausgeprägten Gespür für wirtschaftliche Entwicklungen.

Nach britischem Vorbild waren in deutschen Landen erste Versicherungen in Form von Aktiengesellschaften entstanden. David Hansemann gründete die Aachener Feuer-Versicherungs-Gesellschaft, die er schon bald zur Aachener und Münchener Feuer-Versicherungs-Gesellschaft ausbauen konnte.

Das Zeitalter der Eisenbahn begann. 1825 wurde in England die erste Verbindung eröffnet. Fortan sollte der Bau und Betrieb von Eisenbahnen die industrielle Entwicklung in Europa entscheidend vorantreiben und zu einem riesigen Aufschwung der Kohle- und Eisenindustrie führen. Bis zum Ende des 19. Jahrhunderts entstand in Europa ein Streckennetz von etwa 277.000 Kilometern, davon im Deutschen Reich etwa 50.000 Kilometer. Initiatoren der einzelnen Eisenbahnprojekte waren private wie auch staatliche Gesellschaften.

David Hansemann beteiligte sich 1835 an der Gründung der Rheinischen Eisenbahn-Gesellschaft. Weitere Verbindungen und Gründungen von Gesellschaften folgten, so dass er durch die intensive Beschäftigung mit Planung und Finanzierung solcher Vorhaben zu einem gefragten Experten und man auch in Berliner Regierungskreisen auf ihn aufmerksam wurde.

Ab 1845 gehörte er als Abgeordneter dem Rheinischen Provinziallandtag an und ab 1847 dem Vereinigten Landtag in Berlin. 1848 berief ihn Preußenkönig Friedrich Wilhelm IV. zum Finanzminister, dann zum Chef der Preußischen Bank. Im Alter von 61 Jahren gründete er die Disconto-Gesellschaft, eine Kreditgenossenschaft nach dem Vorbild der in Brüssel angesiedelten Union du Crédit. Letztere war ein Zusammenschluss von kleinen Kaufleuten und Gewerbetreibenden, die Kapital und Geschäftsanteile in die Gesellschaft einbrachten und sich mit günstigen Krediten gegenseitig unterstützten. Als erfahrener Geschäftsmann kannte David Hansemann die Schwierigkeit, als kleiner Gewerbetreibender an einen Kredit zu kommen. In der von ihm gegründeten Gesellschaft sollten die Mitglieder zugleich Aktionäre und Geschäftskunden sein.

Die Disconto-Gesellschaft nahm 1851 unter der Leitung von David Hansemann ihre Geschäfte auf und entfaltete sich in nur wenigen Jahren zu einem führenden Kreditinstitut.

Der Sohn: Adolph von Hansemann (1826-1903)

Ähnlich wie sein Vater absolvierte auch Adolph eine kaufmännische Lehre, und zwar in einer Textilfirma in Leipzig. Nach zwei Jahren beendete er sie und trat mit vorgestrecktem Kapital von Seiten seines Vaters als Teilhaber in die Tuchfabrik eines Verwandten ein. Vater David erkannte das geschäftliche Talent seines Sohnes, weshalb er ihn vorzeitig für volljährig erklärte, so dass er die volle Geschäftsfähigkeit besaß. Adolph soll die Tuchfabrik innerhalb kürzester Zeit zu erstaunlicher Blüte geführt haben. Grund genug für den Vater, ihn bereits 1857 als Geschäftsinhaber in die Disconto-Gesellschaft zu holen.

Adolph von Hansemann, aus dem Buch “David Hansemann und Adolph von Hansemann”, Krefeld 1954

Anders als David Hansemann, der in vieler Hinsicht ein politisch orientierter Mensch war, konzentrierte sich Adolph ausschließlich auf die Wirtschaft. Er wurde nie auf dem Gebiet der Politik tätig. Nur so gelang es ihm, die Disconto-Gesellschaft gegen starke Konkurrenz zu einer der führenden Banken auszubauen, die 1929, lange nach seinem Tod, mit der Deutschen Bank zur „Deutschen Bank und Disconto-Gesellschaft“ fusionierte. 1937 erfolgte die Um- bzw. Rückbenennung in “Deutsche Bank”.

Erhebung in den erblichen Adelsstand

Während der Kriege Preußens gegen Österreich 1866 und gegen Frankreich 1870/71 gehörte die Disconto-Gesellschaft zu jenen Großbanken, die den Staat bei der Kriegsfinanzierung entscheidend unterstützten. Auch bei anderen finanziellen Unternehmungen war Hansemann für den preußischen Staat unterstützend tätig geworden, so dass er für seine Dienste 1872 durch Allerhöchste Kabinettsorder in den erblichen Adelsstand erhoben wurde.

Beteiligungen an Industrieunternehmen und koloniale Interessen

Die 1870er Jahre waren für die Disconto-Gesellschaft die Zeit der großen Eisenbahngeschäfte und der Einflussnahme auf die Schwerindustrie durch die Vergabe hoher Kredite. In den 1880er Jahren begann der Kapitalexport ins Ausland und nach Übersee.

Nach Gründung des Deutschen Reiches blieben Politiker wie Bismarck und Moltke einer kolonialen Expansion zunächst abgeneigt. Anders die führenden Vertreter der Wirtschaft, die in der Schaffung von Kolonien große Chancen sahen. Sie schauten auf Frankreich, das sich trotz der Niederlage im Krieg gegen Deutschland zur weltweit zweitgrößten Kolonialmacht hatte entwickeln können, mit beträchtlichen Gebietsgewinnen in Afrika und Asien.

Zu den ersten deutschen Bankiers, die sich für eine Änderung der Kolonialpolitik einsetzten, gehörte Adolph von Hansemann. Südamerika mit seinen Rohstoffen interessierte ihn, Südwestafrika, ebenso die Inselgruppen im Pazifik.

1880 wurde unter der Führung von Hansemanns Disconto-Gesellschaft die Deutsche Seehandels-Gesellschaft gegründet, in der deutsches Kapital gebündelt wurde, um es in fremden Ländern zu investieren. Als etwa einzelne deutsche Firmen in der Südsee oder in Südwestafrika Gebiete in Besitz genommen hatten, ihr Kapital zur Erschließung jedoch nicht ausreichte, griff die Seehandels-Gesellschaft ein und investierte entsprechend in Plantagen und Handelsunternehmen, in Minen- und Eisenbahn-Gesellschaften.

Studienkonsortium für asiatische Geschäfte

Auch in China, dichtbesiedelt, aber unterentwickelt, was moderne Technik in Infrastruktur und Bergbau betraf, sah Hansemann verlockende Möglichkeiten, was dazu führte, dass er sich mit den dortigen Verhältnissen ausführlich auseinandersetzte. Seine Bibliothek im Schloss von Dwasieden soll reich bestückt an China bezogener Sachliteratur gewesen sein. Zuallererst sind da die Werke des Geographen Ferdinand Freiherr von Richthofen zu nennen. Zwischen 1868 und 1872 hatte dieser China eingehend bereist und seine Forschungsergebnisse veröffentlicht. Das Wissen aus den Büchern reichte Hansemann jedoch nicht. Zusammen mit einigen Vertretern aus Hochfinanz, Industrie und Handel initiierte er das „Studienkonsortium für asiatische Geschäfte“, das 1885 drei Herren nach China entsandte, um die Möglichkeiten deutschen Engagements zu erkunden. Eine Erkenntnis dieser Exkursion war die Tatsache, dass sich deutsche Interessen in China nur schwer gegen die mächtige britische Konkurrenz durchsetzen ließen. Großbritannien hatte sich schon ab 1840 mit den Opiumkriegen den Zugang zum chinesischen Markt sichern können. Die britische Hongkong & Shanghai Banking Corporation galt als führende Bank für die Geschäfte im Fernen Osten. Eine erste Maßnahme, die Hansemann und seine Mitstreiter daraufhin zur Stärkung deutscher Interessen beschlossen, war 1889 die Gründung der Deutsch-Asiatischen Bank mit Sitz in Shanghai. Hansemanns Disconto-Gesellschaft gehörte zu deren größten Anteilseignern.

Gründung der Schantung-Eisenbahn- und Schantung-Bergbau-Gesellschaft

Inzwischen hatte sich in Berlin hinsichtlich der Kolonialpolitik ein Stimmungswandel vollzogen. Die deutsche Flotte wurde aufgebaut, Kriegsschiffe und Kanonenboote zwecks Durchsetzung deutscher Interessen ins Ausland geschickt.

Im Jahre 1897 besetzte die deutsche Kaiserliche Marine die Bucht von Jiaozhou (alte Umschrift: Kiautschou) und zwang China zur Unterzeichnung eines Pachtvertrages über 99 Jahre. Bei der wirtschaftlichen Erschließung des deutschen „Schutzgebietes“, wie man damals zu sagen pflegte, zumal beim Abbau der wertvollen Bodenschätze, wurde auch Hansemanns Disconto-Gesellschaft wieder tätig. Wie weit seine Beteiligungen gingen zeigt die Tatsache, dass sich 1899 im Sitzungssaal ihres Geschäftsgebäudes zu Berlin 130 Teilnehmer einfanden, um die Gründung der Schantung-Eisenbahn-Gesellschaft mit einem Aktienkapital von 54 Mio. Mark zu vollziehen. Ebenso erfolgte die Gründung der Schantung-Bergbau-Gesellschaft. Adolph von Hansemann übernahm in beiden Gesellschaften den Vorsitz im Aufsichts- bzw. Verwaltungsrat.

Reichtum schützt nicht vor Schicksalsschlägen

Adolph von Hansemann gehörte sicherlich zu den herausragenden Wirtschaftsführern seiner Zeit. Und ich könnte mir vorstellen, dass es sein Wunsch war, sein einziger Sohn, Dr. Ferdinand von Hansemann, Jurist und Landwirt, würde einmal sein Erbe antreten. So wie Adolph das Lebenswerk von David Hansemann weitergeführt hatte.

Ferdinand von Hansemann, aus dem Buch “Adolph von Hansemann”, München 1932

Doch es sollte anders kommen. Ferdinand starb 1901 im Alter von 39 Jahren, noch vor seinem Vater. Er hinterließ einen Sohn und eine Tochter.

Adolph von Hansemann starb 1903. Nur ein kurzes Unwohlsein hatte ihn in seiner Arbeit unterbrochen. Dann schlief er friedlich ein. So erlebte er nicht mehr den nächsten großen Schicksalsschlag, den die Familie traf, als sein einziger Enkel, Albrecht, als Soldat im Ersten Weltkrieg fiel.

Albrecht von Hansemann (1887-1917), aus dem Buch “Adolph von Hansemann”, München 1932

Nach dem Ersten Weltkrieg und den politischen Umwälzungen wurde es allmählich schwierig, das Schloss weiter zu unterhalten. Ideen zur Nutzung gab es anscheinend genug, etwa als Kunst- oder Kurzentrum, auch von der Gründung einer Spielbank war die Rede, aber nichts davon ließ sich realisieren. Das Schloss wurde auch zeitweise vermietet, wovon Gerhart Hauptmann 1928 Gebrauch machte. Er verlebte einen Sommer auf Schloss Dwasieden und nutzte zugleich die repräsentativen Räumlichkeiten für die Feierlichkeiten zur Hochzeit seines jüngsten Sohnes Benvenuto mit Prinzessin Elisabeth zu Schaumburg-Lippe.

Da Adolphs Tochter Davide Eveline kinderlos blieb, ging das Schloss an die einzige Enkeltochter bzw. an deren Sohn Gert von Oertzen. Dieser verkaufte es 1935 zu einem Spottpreis an die Gemeinde Sassnitz, die vorgab, hier ein Kreideheilbad errichten zu wollen.  In Wirklichkeit reichten die Verantwortlichen der örtlichen Regierung das Schloss noch im selben Jahr an die Reichsmarineverwaltung weiter und hintergingen auf diese Weise Hansemanns Nachkommen.

Der Untergang Dwasiedens

Das weitläufige Gelände von Dwasieden wurde daraufhin zur Marinegarnison ausgebaut mit modernsten Schulungseinrichtungen, Kasernen und dem Prunkschloss als Offizierskasino.

Die Marine blieb bis Kriegsende 1945, dann kamen Einheiten der Roten Armee und begannen mit der Demontage der Garnison. Das Schloss wurde zu ihrem Verwaltungsgebäude. Schon Wochen später mussten Lager für Flüchtlinge, Umsiedler und Heimkehrer aus der Kriegsgefangenschaft geschaffen werden. Hunderte, wenn nicht Tausende von Menschen  kampierten hier unter katastrophalen Bedingungen. Gleichzeitig ergingen Erlasse von Seiten der Alliierten, dass militärische Bauten unverzüglich für eine zivile Nutzung umgebaut, ansonsten aber gesprengt werden müssten. Die örtlichen Behörden konnten sich jedoch nicht darauf einigen, wie die teilweise desolaten Kasernen und das Schloss für Wohnzwecke umgebaut werden sollten, so dass sie schließlich die Sprengung anordneten, die Mitte 1948 vollzogen wurde.

Ruinen von Kasernen hinter dichtem Laubwerk © Petra Häring-Kuan

Schon 1952 kehrte das Militär nach Dwasieden zurück. In die wenigen von der Sprengung verschonten Gebäude und in den einst zum Schloss gehörenden Marstall zogen nun NVA und Volkspolizei ein. Neue Kasernen kamen hinzu. Bis 1990 blieb das Gelände hermetisch abgeriegelt. Dann wurde es entmilitarisiert. Und wieder gab es Überlegungen, wie man das Gelände von Dwasieden nutzen könnte. Investoren mit entsprechenden Vorschlägen wurden gesucht. Erneut kam die Idee zu einem Kurzentrum auf. Sogar ein Wiederaufbau der historischen Schlossfassade wurde erwogen. Doch nichts geschah. Stattdessen folgten Vandalismus und weitere Zerstörung.

Abschied

Die beiden freundlichen Herren mit ihren Motorrädern entpuppen sich als Vater und Sohn. Der Vater war als NVA-Soldat drei Jahre in Dwasieden stationiert gewesen und will seinem Sohn endlich einmal das Terrain zeigen. Kopfschüttelnd läuft er über das Gelände und betrachtet den zerstörten Marstall. Dort war er früher ein- und ausgegangen.

Marstall, Schlossruine Dwasieden © Petra Häring-Kuan

1997 legten irgendwelche Leute Feuer, so dass das Gebäude niederbrannte. Nur die Fassade blieb erhalten. Der Vater zeigt auf Trümmer, Abfälle und andere Hinterlassenschaften. Ihm fehlen die Worte. Dann steigen sie wieder auf ihre Motorräder, winken zum Abschied und knattern davon. Meine Freundin und ich bleiben zurück, betrachten was vom Glanz des Schlosses übrigblieb, die Reste des Säulenganges, die Steinblöcke an den Zugängen zum Kellergewölbe.

Trümmer und Zugang zum Kellergewölbe © Petra Häring-Kuan

Unbegreiflich erscheint uns, wie man diesen geschichtsträchtigen Ort einfach so dem Verfall überlassen kann. Auch wenn das Schloss gesprengt wurde und ein Wiederaufbau nicht sinnvoll erscheint, warum aber erinnert man nicht in anderer Form an die Vergangenheit dieses besonderen Platzes. Zumal Adolph von Hansemann für Sassnitz durchaus von Bedeutung war und dies nicht nur durch den Bau des Schlosses. Unter anderem soll der damalige Hafenausbau erst durch seine Unterstützung ermöglicht worden sein.

Wir sehen uns in der näheren Umgebung um, finden aber keinen Platz, der zum Verweilen einlädt.

Kein Platz zum Verweilen © Petra Häring-Kuan

Die Ruine ist ein lost place. Und dann machen wir uns auf den Rückweg, mit einer gewissen Betroffenheit, aber doch froh, diesen Platz besucht zu haben.

Rückweg von der Schlossruine © Petra Häring-Kuan

Nicht lange, da kommt uns ein einsamer Wanderer entgegen. „Entschuldigen Sie“, fragt er. „Führt dieser Weg zur Schlossruine von Dwasieden?“

„Immer geradeaus und dann nach rechts!“, erwidere ich. Er lächelt erleichtert, bedankt sich und marschiert von dannen.

Fast schon grotesk mutet es uns an, als wir am nächsten Tag bei einer Zugfahrt nach Putbus auf eine Gruppe von Touristen und ihre auf Rügen gebürtige Führerin treffen und diese nie etwas von der Schlossruine von Dwasieden gehört hat. Adolph von Hansemann? Ebenfalls nie gehört.

Anders dagegen während einer Wanderung durch den Buchenwald von Jasmund. Wir kommen mit einem jungen Mann ins Gespräch, der wie wir die Kreidefelsen fotografiert. „Wenn Sie noch etwas wirklich Interessantes sehen wollen“, sagt er zum Abschied, „dann gehen sie mal zur Schlossruine von Dwasieden. Kaum jemand weiß davon.“ „Da waren wir schon“, erwidern wir zu seiner Verwunderung und freuen uns, als er anerkennend den Daumen hebt.

Literaturhinweis: Ralf Lindemann: Das weiße Schloss am Meer, Schwerin 2018

1 Kommentar
  1. Toll Petra, wie Du von dem Besuch erzählst und total spannend!
    Ich freue mich jedesmal auf Deine Kulturnotizen. Danke dafür!! Gudrun

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