“Was soll ich mit dem Schrott?”

„Was soll ich mit dem Schrott?“, soll der Architekt Fritz Höger in etwa gesagt haben, als er die rauen Klötze sah, die der Bauherr Henry Brarens Sloman für die Fassade des neuen Kontorhauses preisgünstig besorgt hatte. So jedenfalls erzählte es ein Hamburger Stadtführer seinen staunenden Zuhörern. Ich kam gerade vorbei und sah, wie er auf die Fassade wies. „Klinkermaterial aus dem Oldenburgischen Bockhorn. Ausschussware, könnte man meinen, und eher geeignet für den Bau von Ställen. Kein Stein gleicht dem anderen!“

Klinkerfassade des Chilehauses © Petra Häring-Kuan

Unzählige Male bin ich hier vorbeigekommen, aber diese Besonderheit war mir noch nie aufgefallen. Deshalb trat ich näher heran und tatsächlich, die Ziegel waren wirklich recht unterschiedlich geraten.

Doch dann, so fuhr der Stadtführer fort, hätte der Architekt die außergewöhnlich changierende Lichtwirkung der rotbraunen und bläulichen Klinker entdeckt und war begeistert. Und so schuf er ein Kontorgebäude, das heute zu den UNESCO-Welterbestätten und Hauptwerken expressionistischer Architektur in Deutschland gehört: das Hamburger Chilehaus, errichtet von 1922 bis 1924. Passend für eine Hafenstadt erinnert der prägnante östliche Gebäudeteil mit seiner scharf zulaufenden Spitze an den Bug eines Schiffes. Es ist eins der beliebtesten Fotomotive in Hamburg.

Chilehaus © Petra Häring-Kuan

Der Bauherr, Henry Brarens Sloman (1848-1931), galt zu seiner Zeit als einer der reichsten Bürger der Stadt. In Hamburg aufgewachsen und zum Schlosser ausgebildet, wanderte er im Alter von 21 Jahren nach Chile aus, wo er lange Jahre für ein Hamburger Unternehmen im Salpetergeschäft tätig war. Salpeter gehörte damals zu den wichtigsten Rohstoffen für die Herstellung von Dünger und Sprengstoff, begehrt von Landwirtschaft und Industrie im aufstrebenden deutschen Kaiserreich. Hamburg entwickelte sich zum wichtigsten Umschlagplatz von importiertem Chile-Salpeter. 1892 machte sich Sloman mit eigenen Salpeterwerken in Chile selbstständig. 1898 kehrte er zurück und führte seine Geschäfte von Hamburg aus weiter. In Erinnerung an den Ursprung seines Erfolges nannte er sein riesiges neues Kontorgebäude „Chilehaus“.

So gewaltig dieser Bau auch wirkt, wenn ich das nächste Mal dort vorbeikomme, werde ich wahrscheinlich nur noch auf die kleinen markanten Klinker achten.

2 Kommentare
  1. Tolle Hamburgensie lebhaft erzählt! Beim Besuch des Chilehauses haben mich auch die atemberaubenden Treppenfluchten und Keramiken im Inneren begeistert. Großartige Architektur.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahren Sie hier mehr darüber, wie Ihre Kommentardaten verarbeitet werden.

Ihnen könnten folgende Beiträge auch gefallen