Von einem weisen Grafen, dem wir einen außergewöhnlichen Maler verdanken: Wolfgang Heimbach (ca. 1613-1679)

Es war ein längerer Beitrag, der im Radio lief. Von Wolfgang Heimbach war die Rede, einem Maler aus dem 17. Jahrhundert. Das Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte Oldenburg widmet ihm eine weltweit erste Einzelausstellung. Heimbach war zu seinen Lebzeiten ein an Fürsten- und Königshöfen geschätzter Maler, der aber in Vergessenheit geriet und heute als einer der bedeutendsten norddeutschen Barockmaler gefeiert wird.

Meine Schwester folgte dem Beitrag nicht wirklich konzentriert, bis das Wort Gehörlosigkeit fiel. Wolfgang Heimbach war gehörlos, von Geburt an. Schwerhörigkeit ist ein Thema in unserer Familie. Deshalb wissen wir von den Einschränkungen, mit denen die Betroffenen zu kämpfen haben. Technische Hilfsmittel mildern heute die Probleme ab. Aber wie war es früher? Was bedeutete Schwerhörigkeit im 17. Jahrhundert oder, schlimmer noch, Gehörlosigkeit? Man weiß es. Es kam einer individuellen Katastrophe gleich. Den meisten Gehörlosen blieben Bildung und Beruf versagt und damit die Chance auf eine normale Teilhabe am gesellschaftlichen Leben. Im Allgemeinen unterstellte man ihnen, einen minderen Intellekt zu haben und traute ihnen deshalb nur einfache Handlangerdienste zu, weshalb viele ein Leben in Armut und Einsamkeit führten. Allerdings gab es bereits im 16. Jahrhundert nachweislich Versuche, diesem Unrecht ein Ende zu setzen. Schwerhörige und Gehörlose fanden in Klöstern Aufnahme und Arbeit und unter den Mönchen manchmal auch einen geduldigen Lehrer. Als erster Gehörlosenlehrer gilt der Benediktinermönch Pedro Ponce de León (1520-1584) im Kloster San Salvador im spanischen Oña, für den die Benediktregel galt: alle Menschen sind gleich und müssen mit Respekt behandelt werden. Er gründete in seinem Kloster eine Schule für Gehörlose. Die meisten seiner Schüler stammten aus wohlhabenden adligen Familien, die sich den Unterricht leisten konnten. León unterrichtete die Kinder im Lesen, Schreiben, Rechnen und sogar im Sprechen und widerlegte die damals vorherrschende Meinung, dass Gehörlose nicht bildungsfähig wären.

Heimbach war nicht der einzige gehörlose Künstler. Einen erfolgreichen niederländischen Künstler nannte man den „Stummen von Kampen“. Der Spanier Juan Fernández de Navarrete wiederum wird der spanische Tizian genannt. Er arbeitete ausschließlich für den König von Spanien. Und auch von Beethoven weiß man, dass er mit zunehmendem Alter von Taubheit geplagt war. Trotz alledem: Wie konnte Wolfgang Heimbach eine derart erfolgreiche Künstlerkarriere gelingen?

Meine Schwester erzählte mir von der Ausstellung und nach kurzer Recherche war klar, dass wir das Werk dieses Künstlers unbedingt kennenlernen wollten. Also machten wir uns auf den Weg nach Oldenburg.

Das Augusteum in Oldenburg, mit Plakat zur Ausstellung “Wolfgang Heimbach – Ungehört” © Petra Häring-Kuan

Nur wenig ist bekannt über die Kindheit und Jugend des Wolfgang Heimbach. Auch über seinen weiteren Lebensweg als Künstler können oft nur Vermutungen angestellt werden. Jedoch hat er etwa einhundert Werke hinterlassen, die Aufschluss darüber geben, wo er wann wen getroffen bzw. gemalt haben muss. Die ausführlichste Information stammt von Johann Just Winckelmann, Historiograph am Hofe des Grafen Anton Günther von Oldenburg und Delmenhorst. In der von ihm verfassten Chronik zur Regierungszeit des Grafen wird von dem Gemälde eines gräflichen Pferdes berichtet, das Heimbach im Jahre 1663 angefertigt hatte. In diesem Zusammenhang wurde über den Künstler geschrieben, dass er fünfzig Jahre alt und von Geburt an gehörlos sei, es aber hervorragend verstünde, durch Lippenlesen, Gebärden und Schrift mit seiner Umwelt zu kommunizieren, als hätte ihm der höchste Gott ersetzt, was die Natur ihm nahm (nämlich das Gehör).

Demzufolge muss Heimbach um das Jahr 1613 geboren worden sein, und zwar in Ovelgönne in der damaligen Grafschaft Oldenburg. Sein Vater, Wolff Heimbach, verwaltete dort das Vorwerk des Grafen Anton Günther von Oldenburg und Delmenhorst, bestehend aus Gutshof, Gestüt und Schloss. Mit dieser Position gehörte er zur sozialen Oberschicht.

Ausschnitt: Wolfgang Heimbach, Altersporträt des Grafen, 1664 © Petra Häring-Kuan

Graf Anton Günther von Oldenburg und Delmenhorst (1583-1667) gilt bis heute als ein herausragender Landesherr seiner Zeit, denn er verstand es, seinen Kleinstaat mit geschickter Neutralitätspolitik aus den kriegerischen Auseinandersetzungen des Dreißigjährigen Krieges (1618-1648) herauszuhalten, während anderenorts ganze Landstriche des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation verwüstet und Städte geschleift wurden und ein Drittel der Bevölkerung umkam. Weitsicht und wirtschaftliches Gespür prägten die Entscheidungen seiner sechzigjährigen Regentschaft und führten zu wirtschaftlicher Blüte in der Region. Nahezu jedes Jahr kam der Graf mit seinem Gefolge nach Ovelgönne, um einige Zeit dort zu verbringen. Pferde waren seine große Leidenschaft und zudem ein gutes Geschäft, weshalb er die bäuerliche Pferdezucht förderte und den Ovelgönner Vieh- und Pferdemarkt gründete, der ab 1633 jedes Jahr Anfang September stattfand. Die robusten Oldenburger Pferde genossen als gute Zug- und Arbeitstiere europaweit einen hervorragenden Ruf. Während des Dreißigjährigen Krieges waren sie vor allem als Zugtiere für die Artillerie begehrt. Auch dies mag ein Grund gewesen sein, warum die feindlichen Heere diesen für seine Pferdezucht berühmten Landstrich schonten. Hierzu passt eine Legende, die zu Graf Johann T. von Tilly (1559-1632) erzählt wird, einem wegen seiner Brutalität gefürchteten Feldherrn, der auf Seiten der Katholischen Liga und der kaiserlichen Armee kämpfte. Angeblich plante er einen Überfall auf das protestantische Oldenburg, den Graf Anton Günther jedoch zu verhindern wusste, indem er Tilly mit wertvollen Oldenburger Pferden beschenkte und ihm zudem noch einen gangbaren Abzugsweg durch die umliegenden Moore wies.

Während seiner Aufenthalte in Ovelgönne muss der Graf den Sohn seines Verwalters oft zu Gesicht bekommen haben, und auch dessen künstlerisches Talent dürfte ihm aufgefallen sein. Ein Junge, der alles was er sagen wollte, so gut aufzeichnen konnte. Wie der oben genannte Chronist berichtet, sorgte der Graf dafür, dass Heimbach – vermutlich im Alter von vierzehn Jahren – bei einem Kunstmaler in die Lehre ging. Der Graf wurde so zur treibenden Kraft hinter Heimbachs Ausbildung zum Maler. Auch lässt der Eintrag des Chronisten vermuten, dass es der Graf war, der ihn um 1630 zur weiteren Ausbildung in die Niederlande schickte. Damals zählten die Niederlande nach Italien zu den führenden Zentren der europäischen Kunst. Heimbach lernte dort die holländische Malerei kennen, eine Stilrichtung, der er sein Leben lang treu blieb. Er wurde in verschiedenen Werkstätten erfolgreicher Maler tätig, was die von ihm angefertigten Kopien von Werken dortiger Meister beweisen. Nach vier, fünf Jahren kehrte Heimbach in seine Heimat zurück und wurde für den Grafen tätig. Auch nahm er Aufträge aus der Hansestadt Bremen an. 1636 entstanden zwei herausragende Portraits von dem Bremer Ratsherrn Bernhard Graevaeus und seiner Frau Christina. Auf den Gemälden zeigt sich, was für sein weiteres Schaffen typisch wurde und seine Werke so begehrt machten: die feinmalerisch ausgeführten Details bei der Gestaltung von Gesichtern, Schmuck und Kleidung.

Ausschnitt: Wolfgang Heimbach, Christina Graevaeus, 1636 © Petra Häring-Kuan

Doch schon bald, um 1640, zog es den jungen Künstler wieder fort, diesmal in Richtung Süden, um neue Eindrücke zu gewinnen, neue künstlerische Strömungen zu studieren und natürlich auch, um neue Auftraggeber zu gewinnen. Wandermaler oder auch Reisekünstler nennt man heute das Phänomen, das im 17. Jahrhundert vor allem deutsche Künstler und Kunsthandwerker betraf. Die verheerenden Kriegsjahre und deren Nachwirkungen machten es schwer, finanzstarke Auftraggeber zu finden oder an deutschen Fürstenhöfen eine langfristige Stellung als Hofmaler zu ergattern. Viele Künstler zogen deshalb von Ort zu Ort, immer auf der Suche nach lukrativen Aufträgen, um damit den Lebensunterhalt zu bestreiten – sie führten ein Leben in ständiger Ruhe- und Rastlosigkeit.

Wolfgang Heimbach, Ausschnitt aus dem Gemälde der Wäscherinnen. Der Maler auf dem Rücksitz eines Leiterwagens, um 1652 © Petra Häring-Kuan

Heimbach blieb zwölf Jahre im Süden. In Wien malte er den Kaiser, in Rom den Papst, in Florenz verkehrte er am Hof der Medici. Seine Malerei sei beim Papst, den Kardinälen und vornehmen Herrschaften sehr beliebt gewesen, wusste der Chronist in Oldenburg zu berichten. Was genau Heimbach in Italien erlebte, ist nicht bekannt. Ob er sich in Neapel, seiner ersten Station und wo er etwa zwei Jahre blieb, gegen die zahlreiche Konkurrenz durchsetzen konnte, weiß man nicht. Neapel war damals die zweitgrößte Stadt Europas, in der es zahlreiche Kirchen und Klöster gab und damit jede Menge an potentiellen Auftraggebern für künstlerische Werke. Durch Briefe belegt ist, dass Heimbach inzwischen auf Italienisch und Latein korrespondieren konnte, und man weiß auch, dass er zum katholischen Glauben übertrat. Ob aus bloßem Kalkül, um beim Klerus leichter an Aufträge zu kommen oder aus Überzeugung, ist unbekannt. Die Glaubensfrage war jedoch eine immens wichtige, im katholischen Italien genauso wie im Flickenteppich der deutschen Kleinstaaten. Heimbach blieb auch nach seiner Rückkehr dem katholischen Glauben treu. Selbst nachdem es Kritik gab, dass er in Oldenburg nicht zum Gottesdienst ging, sondern in Bremen die Messe besuchte.

Um 1651 kehrte er über Prag und Brüssel nach Oldenburg zurück. Inzwischen war er ein selbstbewusster Künstler, der sich auch nicht scheute, das Angebot einer festen Anstellung am dänischen Königshof zunächst abzulehnen. Stattdessen arbeitete er wieder für den Grafen Anton Günther und fertigte zahlreiche Gemälde für ihn an.

Wolfgang Heimbach, Ausschnitt aus dem fast schon erotisch anmutenden Gemälde der Wäscherinnen, um 1652 © Petra Häring-Kuan

1653 folgte er dann doch dem Ruf nach Kopenhagen und blieb dort neun Jahre. Erst 1662 kehrte er wieder nach Oldenburg zurück, ließ sich dort nieder und arbeitete erneut für den Grafen.

Im Jahre 1667 starb Graf Anton Günther von Oldenburg und Delmenhorst. Vier Jahre später erschien die von ihm in Auftrag gegebene und von Johann Just Winckelmann verfasste Chronik seiner Regierungszeit, in der auch die Daten zu Wolfgang Heimbach enthalten waren.

Der Graf war mit Prinzessin Sophie Katharina von Holstein-Sonderburg verheiratet gewesen. Da die Ehe kinderlos geblieben war, erbte der König von Dänemark, Friedrich III., als nächster männlicher Verwandter die Grafschaft. Dieser folgte allerdings dem ausdrücklichen Wunsch des Verstorbenen, als Statthalter der Grafschaft Anton von Aldenburg einzusetzen, des Grafen Anton Günthers illegitimen Sohn.

Wolfgang Heimbach gelang es derweil, am Hof des Fürstbischof von Münster, Christoph Bernhard von Galen (1606-1678), eine feste Anstellung zu finden, die er mindestens bis 1675 innehatte. Der Fürstbischof beschäftigte gleich mehrere Maler. Heimbach war der höchstbezahlte.

1678 starb der Fürstbischof, im April 1679 starb auch Wolfgang Heimbach während eines Aufenthaltes in Osnabrück.

Oldenburg ist die Heimat Wolfgang Heimbachs und die erste Station seiner außergewöhnlichen Karriere, Münster die letzte, als er für den Fürstbischof tätig wurde. Zwei deutsche Museen, aus Oldenburg und aus Münster, haben sich gemeinsam an die Arbeit gemacht, das Werk dieses Künstlers neu zu bewerten.

Das Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte Oldenburg zeigt die Ausstellung „Wolfgang Heimbach. Ungehört“ noch bis zum 28. August 2022.

Plakat zur Ausstellung im Augusteum, Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte Oldenburg © Petra Häring-Kuan

Vom 23. September bis zum 4. Dezember 2022 folgt im LWL-Museum für Kunst und Kultur in Münster die Ausstellung „Wolfgang Heimbach. Ein deutscher Barockmaler an europäischen Höfen“.

Anlässlich dieser Ausstellungen haben beide Museen gemeinsam einen ausgezeichneten Katalog herausgegeben: Wolfgang Heimbach – Sandstein Verlag, Dresden 2022

Katalog zur Ausstellung © Petra Häring-Kuan

 

 

 

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