Jasmund – Alte Buchenwälder, weiße Kreideküste und blaugraue Ostsee

Kathedralen der Natur werden die Alten Buchenwälder auf der Insel Rügen manchmal genannt. Und wirklich, während meiner Wanderung durch den herbstlichen Jasmund Nationalpark bleibe ich angesichts der Schönheit der Natur immer wieder andächtig stehen und fühle mich inmitten der Baumriesen klein und unbedeutend.

Buchenwald im Jasmund Nationalpark © Petra Häring-Kuan

Seit 2011 zählen die Alten Buchenwälder von Jasmund zum UNESCO Weltnaturerbe. Und das bedeutet: Nicht eingreifen! Der Wald wird sich selbst überlassen. Der natürliche Kreislauf von Werden und Vergehen ist hier noch intakt. Bäume, die fallen, bieten Raum für neues Leben.

Totes Holz bietet Raum für neues Leben © Petra Häring-Kuan

Deutschland ist Buchenland. In ganz Europa ist die Buche der vorherrschende Baum und würde überall wachsen, wenn man ihn nur ließe. Er gedeiht auf fruchtbaren wie auf kargen Böden, in feuchten wie in trockenen Regionen, im Tiefland wie im Gebirge. Doch seit etwa 200 Jahren betreibt der Mensch durch massive Landnutzung einen beispiellosen Raubbau, der die Buchenwälder bereits auf 0,02 Prozent ihrer ursprünglichen Ausdehnung zurückgedrängt hat. Unversehrten Wald gibt es heute nur noch selten. Jener von Jasmund ist der größte seiner Art im gesamten Ostseeraum. Seine Nähe zur Steilküste, die unwegsamen Hänge und Täler lohnten die Mühe einer anderweitigen Nutzung wohl nicht.

Am besten lässt sich das Gebiet per pedes erkunden, auf ausgewiesenen Wanderwegen, wie auf dem Hochuferweg entlang der Nordostküste. Mir wurde der Abschnitt von Sassnitz bis zum Königsstuhl empfohlen, ein Weg von etwa acht Kilometern, der atemberaubende Ausblicke auf schroffe Kreidefelsen, den schmalen Küstenrand und die Weite der blaugrauen Ostsee bietet.

Spektakuläre Ausblicke auf Kreideküste und Ostsee © Petra Häring-Kuan

Mal geht es steil hinauf auf Anhöhen und dann wieder tief hinab in Täler, über weitverzweigte Baumwurzeln, Baumstämme, Felsgestein und rutschiges Laub. Gutes Schuhwerk sollte deshalb selbstverständlich sein.

Hochuferweg © Petra Häring-Kuan

Der Hochuferweg führt zu Rügens meistbesuchter Sehenswürdigkeit: zum 118 m hohen Königsstuhl. Namenspatron soll der schwedische König Karl XII. (1682-1718) sein, der 1715 hier einen Stuhl aufstellen ließ, um die Seeschlacht seiner Flotte gegen die der Dänen zu beobachten. Auch einen anderen König zog es hierher. Im Jahre 1865 betrachtete Wilhelm I. von Preußen die berühmten Kreideklippen von einem nahe gelegenen Vorsprung aus und nannte diesen „Victoria-Sicht“, nach seiner Schwiegertochter, der Kronprinzessin Victoria.

Erinnerungsstein Victoria-Sicht © Petra Häring-Kuan

Jährlich zieht es etwa 1,3 Millionen Besucher zu den weißen Felsen, die schon der Maler Caspar David Friedrich (1774-1840) in seinem berühmten Gemälde „Kreidefelsen auf Rügen“ 1818 verewigt hat. Immer wieder kommt es zu Unfällen, weil wagemutige Wanderer sich zu dicht an Klippen und Hänge wagen, oder es kommt zu massiven Abbrüchen der porösen Kreideküste, wie zuletzt geschehen im Februar 2021.

Kreideküste im Nebel © Petra Häring-Kuan

Um den Königsstuhl vor dem Besucherandrang zu schützen, wurde die alte Besucherplattform im September 2022 für immer gesperrt. Sie wird durch einen ellipsenförmigen und über den Kreidefelsen schwebenden Skywalk ersetzt. Die Eröffnung soll voraussichtlich im Frühjahr 2023 erfolgen.

Der Jasmund Nationalpark ist mit etwa 3000 Hektar der kleinste Deutschlands. In seinem Herzen stehen 493 Hektar Buchenwald als Weltnaturerbe unter dem Schutz der UNESCO. Insgesamt ragen hier etwa 650.000 Buchen in den Himmel, die im Sommer ein dichtes grünes Blätterdach bilden.

Alter Buchenwald, UNESCO Weltnaturerbe © Petra Häring-Kuan

Buchen mögen keine Konkurrenten. Sie absorbieren das gesamte Sonnenlicht und bilden schattige Wälder, in denen es kein Unterholz gibt. Mitten im Wald und umgeben von alten Baumriesen kann man trotzdem weit schauen. Die Weite und die Stille und über allem das dichte Blätterdach – all das trägt zum Eindruck riesiger Hallen bei, in denen der Mensch demütig wird, als stünde er in einer Kathedrale, in einer Kathedrale der Natur.

4 Kommentare
  1. Hallo Petra, wir waren vor 20 Jahren dort am Königsstuhl im frühen Frühjahr ganz alleine, ohne Touristen. Der Boden des Waldes, von dem du so sehr schwärmst, war damals vollkommen bedeckt von weiß blühenden Buschwindröschen.
    Der Wald, die Ostsee, die Kreidefelsen, der Strand, alles auf Rügen ist zu jeder Jahreszeit eine Reise wert.
    Alle Erinnerungen von damals sind mir jetzt mit deinen Fotos verstärkt vor Augen. Leider hatten wir seinerzeit noch kein Smartphone, um die Eindrücke sofort visuell festhalten zu können.
    Es grüßt herzlich Renate

    1. Liebe Renate, ich kann mir vorstellen, dass es dort im Frühjahr wunderschön sein muss. Es ist wirklich eine ganz besondere Gegend. Herzliche Grüße Petra

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